Cocktails in Neapel

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Dass Italien Einiges in Sachen Cocktails zu bieten hat, ist wohl bekannt. Vom Wermut-Gürtel abwärts lässt sich das typische Nord-Süd-Gefälle beobachten, das mit einem letzten Aufbäumen in Florenz zum Abschluss zu kommen scheint, bevor Rom, die ewige Stadt, dem Ganzen die Krone aufsetzt. Richtung Süden scheint es dann dünn zu werden.

Doch spätestens seit es Neapels Speakeasy-Juwel l’Antiquario 2022 unter die World’s 50 Best Bars geschafft hat, sollte hier kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte sein. Sucht man im Navi nach „cocktail bar“, gleicht der Stadtplan der Stadt am Vesuv einem Nadelkissen. Aber wo es Spritz to go für 1,50 Euro gibt und jedes kleinste Straßencafé besser mit Spirituosen ausgestattet ist als bei uns manch eine „Bar“, muss man natürlich genauer hinsehen, um fündig zu werden.

Dann aber wird man mit Erfolg belohnt! Während unseres Urlaubs in Neapel haben wir fünf Bars besucht, die eine Vorstellung verdienen. Dabei soll an dieser Stelle auch der ungezählten, stets verlässlichen Campari Spritz gedacht werden, die bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten von uns gehen mussten.

Ex Falegnameria

Nachdem wir unser Hotel in den Hängen des Vomero bezogen hatten, verschlug es uns in die engen Gassen der unterhalb liegenden Quartieri Spagnoli. Sie tragen ihren Namen seit dem 16. Jahrhundert, als Neapel durch den spanischen Vizekönig Pedro Álvarez de Toledo regiert wurde.

Unsere erste echte neapolitanische Pizza bei Pizza e Passione musste dann in der Ex Falegnameria begossen werden. Das kleine gemütliche Ladenlokal, das dem Namen nach mal eine Schreinerei war, wird durch Außentische in der Gasse ergänzt. Stephanie blieb bei Negroni Sbagliato, während ich zunächst einen klassischen Negroni hatte, dem der Punt e Mes anstelle eines regulären Wermuts eine schöne würzige Not gab. Die zweite Runde war für mich dann die feierliche Eröffnung der Tour de Campari Spritz der kommenden Tage. Die Cocktail-Karte der Ex Falegnameria ist klein, aber mit Geschmack und Verstand ausgewählt. Zu den angebotenen Klassikern gibt es jeweils die Option einer Deluxe-Variante mit teureren Spirituosen. Mixologische Überraschungen darf man nicht erwarten, dafür aber, wie überall in Neapel, leckere Knabbereien zu den Drinks. Inmitten des morbiden Charmes zwischen einfacher Lebenswirklichkeit und Touristenkaschemmen ist die Ex Falegnameria eine Oase des guten Geschmacks und der Gediegenheit in den Quartieri Spagnoli.

Barrio Botanico

Für die Zeit bis zu unserer Tischreservierung in der Osteria da Antonio im Stadtteil San Ferdinando unweit des Fährhafens konnten wir uns nichts Besseres vorstellen als einen leckeren Drink im Barrio Botanico. Durch eine monumentale Toreinfahrt betraten wir den großzügigen Innenhof des spätbarocken Palazzo Fondi, der als Außenterrasse der Bar dient. Der opulente Bau wurde im 18. Jahrhundert durch Gian Giacomo de Marinis erbaut, den Markgrafen von Genzano. Seine Großnichte Maria Costanza de Marinis und ihr Ehemann Giuseppe Sansevero di Sangro bauten den Palazzo 1799 bis 1824 zu seiner heutigen Gestalt um. Die neapolitanische Familie di Sangro hatte 1751 das Fürstentum Fondi in Latium erworben, daher der Name Palazzo Fondi. (Der Preis von 200.000 Dukaten soll jedoch nie gezahlt worden sein.)

Der Innenhof ist mit einer durchsichtigen Plane überdacht, die in der Mitte trichterförmig zusammenläuft und als Säule am Boden ankommt. Der Effekt bei Regen muss toll sein, doch wir sind auch nicht traurig, dass wir davon keinen Tropfen in unserem Urlaub gesehen haben. Im Hof und in der Portikus gegenüber dem Eingang, wo auch die Bar untergebracht ist, sitzt man sehr schön und kann sich zur reichhaltigen Barkarte, die Signature Drinks und Klassiker bietet, beraten lassen.

Stephanie hatte einen „Neapolitan Lemon Tree“, der trotz einer bunten Palette Zutaten (Gin, Italicus, Limoncello, Zitronensaft, Ingwer-Sirup, Bitter Bianco und Minz-Infusion) auch ein ordentlicher Tom Collins hätte sein können, wenn man ehrlich ist. Mein fantastischer „Cigar Proof“ mit Monkey Shoulder Scotch, Hierbas, Kirschlikör, Cynar 70 Proof (hierzulande kaum zu bekommen) und Cherry Bitters wurde meiner Lust auf kräftige Aromen und einen spürbaren Alkoholgehalt voll gerecht. Wir waren überzeugt genug, nach unserem leckeren Fisch-Dinner bei Antonio noch einmal wiederzukehren – wobei wir diesmal darum baten, unsere vollen Bäuche mit den Gratissnacks zu verschonen. Die erste After-Dinner-Runde bestritten hauptsächlich – gegen alle Konventionen – mit Aperitivi. Einzig der „Hanami“ mit Mezcal, Wermut, Provence-Tee-Sirup sowie Limettensaft und -sirup war meine durchaus überzeugende Wahl aus der Signature-Liste. Wir waren uns einig, dass wir auch gerne noch einmal ins Barrio Botanico gehen würden. Es spricht jedoch für Neapel, dass es dazu nicht gekommen ist.

La Fesseria

  • Via Giovanni Paladino, 17, Napoli, Centro Storico, @la_fesseria

Wir wollten eigentlich in eine kleine Pizzeria, die mich vor sechs Jahren schon mal begeistert hatte. Anscheinend war der Laden aber mittlerweile zum Insta-Hype geworden und die Warteschlange von Geinfluencerten begrüßte uns eine Straßenkreuzung vorher. Im Centro Storico von Neapel muss man zum Glück nicht lange nach einer anderen guten Pizza suchen, die nicht von einem Heuschreckenschwarm von Insta-Opfern befallen ist. Danke an Trattoria Pizzeria Bella Napoli für die tolle Pizza! Schade, dass ich im Nachhinein erst gemerkt habe, dass sich in meinem Rücken hinter dem Zaun die Ausgrabungen eines größeren Gebäudekomplexes aus der römischen Kaiserzeit befanden (Carminiello ai Mannesi).

Das macht natürlich Durst, den wir angemessen stillen wollten. Die Fesseria besteht aus mittlerweile drei Lokalen, von denen zwei sehr dicht nebeneinander in einer engen Nebengasse des Centro Storico liegen. Frühe Vögel, die wir sind, bat uns Ciro, der Bartender, uns noch einen Moment zu gedulden und so lange einen Aperitif in der Fesseria Enoteca (Weinbar) nebenan zu nehmen. Ein hervorragender Prosecco von Casa Canevel war dann genau das Richtige, um die Wartezeit zu versüßen.

Als wir schließlich Stellung vor der Cocktail-Fesseria bezogen, war mir klar, dass nichts schiefgehen kann, wenn der Barkeeper wie das historische Ciro’s in London heißt. Ich hatte einen „Clementina in Vetrina“, einen sehr leckeren Sour aus Mezcal, Mandarinenlikör, Limettensaft und San-Gennaro-Sirup (was auch immer das genau ist). Stephanie hatte einen „Bitter Mood“, einen großartigen Highball aus Campari, Chinotto Bitterorangenlikör, Zitronensaft und Honig, das Ganze getoppt mit Lurisia Tonic, das ebenfalls Bitterorange enthält. (Um es vorweg zu nehmen: Wir waren am nächsten Tag noch einmal in der Fesseria auf jeweils einen „Bitter Mood“ für uns beide.) Mein zweiter Drink war ein „Repubblica delle Banane“, ein Old Fashioned aus Bananen-Whisky (ich nehme mal stark an, hier wurde infundiert), Schokoladenbitter und Zuckersirup. Der Drink war gar nichts für meine Frau, aber dafür umso mehr für mich. Ein würdiger Sparring-Partner jenseits der Alpen für den „Banana Joe“ im Seiberts. Wir haben uns wahnsinnig wohl gefühlt bei Ciro in der Fesseria mit ihrer modernen, entspannten Atmosphäre, in der großartige Drinks auf der Höhe der Zeit geboten werden. Absolut keine Dummheit („fesseria“), hier einzukehren. Unser Favorit in Neapel!

Scotto Jonno

  • Galleria Principe di Napoli XIV-XVII, Napoli, Montecalvario, @scottojonno  

Aus dem Archäologischen Nationalmuseum fällt man einmal über die Straße und steht vor der monumentalen neobarocken Fassade der Galleria Principe di Napoli. Seine Bestimmung als belebte Einkaufspassage hat der Bau wohl nie so ganz erfüllt, da sich statt edler Geschäfte überwiegend Verwaltungseinrichtungen und Ämter in den prächtigen Hallen einmieteten. 1965 war die Nordfassade des vernachlässigten Gebäudes vollständig eingestürzt und auch heute bietet die vermüllte Portikus kein sonderlich einladendes Bild nach außen. Umso schöner ist die Überraschung, wenn man die glasüberdachte Passage vom Ende des 19. Jahrhunderts betritt. Sie wirkt wie eine verkleinerte Ausgabe der berühmten Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand (oder eben der Galleria Umberto I in Neapel selbst), die jedoch nur zu drei Seiten geöffnet ist (weil eine Seite durch die Kirche Santa Maria di Costantinopoli blockiert wird).

An der Stelle, an der sich ansonsten der Ostflügel öffnen würde, liegt das Scotto Jonno, das es schafft, den Stil der Belle Époque mit dem Charme von Hipster-Lokalen in Prenzlauer Berg zu verbinden (Hauptsache, irgendwo ist nackter Putz). 1894 hatte schon mal ein gewisser Vicenzo Scotto Jonno ein Café Chantant an gleicher Stelle mit demselben Namen eröffnet. Ein Flügel und ein Cello, die in der Galerie über der Bar ihr Dasein fristeten, deuten darauf hin, dass es hier auch gelegentlich Live-Musik zu Cocktails und leckerem Essen gibt. Das Geschichtsbewusstsein setzte sich auf der Karte fort, da dort Jahreszahlen zu jedem der zunächst wenigen Cocktails angegeben wurden.

Mit dem „Cardinale“, der quasi ein Negroni mit trockenem statt rotem Wermut ist, hatte ich den jüngsten Drink von der Karte. Er ist nicht zu verwechseln mit dem deutschen „Kardinal“ der wie sein Vorbild, der „Bischof“, ein Punsch mit Pomeranzen war. Allerding wurde der Cardinale wohl ursprünglich mit Riesling anstatt mit trockenem Wermut gemacht. Erfunden hat den Drink 1950 Giovanni Raimondo, der Barkeeper im Hotel Excelsior in Rom, inspiriert durch einen deutschen Kardinal, der regelmäßig zu Gast war, als das zehnjährige Jubiläum Papst Pius‘ XII. gefeiert wurde (demnach 1949). Herausgefunden hat das Luca di Francia, der Raimondos Stelle aktuell bekleidet. Stephanies Negroni Sbagliato hatte nicht auf der Karte gestanden und auf meine Frage, ob es neben Klassikern auch Signature Cocktails gebe, erfuhr ich, dass wir noch die Frühstückskarte in Händen hielten. Nice!

Die reguläre Cocktail-Karte war dann ungleich umfangreicher. Stephanie hatte eine wunderbare Paloma und ich kam nicht an „La Strega del Vesuvio“, der „Hexe vom Vesuv“ vorbei: Scotch, Gin, Cordial von regionalen Piennolo-Tomätchen und Sellerie sowie Studentenblumensoda. Unter einem hauchdünnen, superaromatischen Deckel aus getrocknetem Tomatenmark überraschte zusätzlich Rauch, der die trinkbare Vulkan-Erfahrung im Schatten des Vesuvs perfekt machte.

Das Scotto Jonno hat erst im März aufgemacht und man darf gespannt sein, was man noch so hören wird. Neapel-Reisende, die in die Nähe kommen, sollten hier definitiv einen Stopp einlegen.

L’Antiquario

Unsere Reise wollten wir besonders schön ausklingen lassen und hatten daher gleich zu Beginn einen Tisch im L’Antiquario reserviert. Leider waren wir jedoch nicht mehr ganz auf der Höhe unserer Kräfte: Städte lernt man zu Fuß am besten kennen, so dass wir zu dem Zeitpunkt 90 km auf dem Schrittzähler hatten. Das viele großartige Essen, das Neapel überall und in allen Ausführungen zu bieten hatte, der wenige Schlaf und der gelegentliche Campari Spritz forderten so langsam ihren Tribut. Deswegen tut es mir leid, dass wir dem Flaggschiff der neapolitanischen Cocktail-Landschaft nicht mehr die Energie und Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen konnten, die es verdient hat.

In einer grauen, viel befahrenen Straße, die Neapels Zentrum mit dem schicken Chiaia-Viertel verbindet, verstecken sich eine unscheinbare Tür und ein kleines Schaufenster mit altem Krempel, der tatsächlich an einen Antiquitätenladen („antiquario“) denken lässt. Wenn nicht die charakteristischen Silhouetten von alten Cocktail-Utensilien und Flaschen meinen Blick gefangen hätten, wären wir tagsüber ahnungslos daran vorbeigelaufen. Abends wird man freundlich vor der Tür begrüßt und einer der zuvorkommenden und auskunftsfreudigen Kellner führt einen an den Tisch in dem dunklen Speakeasy. Überall hängen Bilder und stehen alte Gegenstände, ohne dass es unruhig oder ungemütlich wirkt. An der Wand, an der unser Tisch stand, hing beispielsweise umringt von Flaschen, Büchern und Eiswürfelformen ein uralter Druck von William Hogarths „Punch Party“ von 1733. Das hätte dem alten Temperanzler sicher nicht gefallen.

Die Getränkekarte ist stark von Klassikern der italienischen Bar geprägt. So nahm Stephanie von der Americano-Sonderkarte den „Americano Fiore“ unter anderem mit St. Germain und Jasmin & Peach Soda. Ich konnte einem Set aus drei verschiedenen Negroni nicht widerstehen, die in Farbe und Geschmack stark variierten. Hier waren intensive und überraschende Aromen am Werk, die ich aus dem Gedächtnis leider nicht mehr zusammenbekomme. Grob gesagt war einer auf Pfirsich-Basis, einer hatte ein Umami-Thema und der letzte war mit Kaffee infundiert. Die Bitternoten und Kräuter waren mitunter fordernd für meinen deutschen Gaumen, aber es war schon spannend, welche Bandbreite ein Getränk haben kann, dass bei mir eigentlich immer nur aus drei gleichen Teilen Gin, Campari und Wermut besteht, fertig aus. Mein Abschiedsdrink war dann ein leckerer und recht gefälliger „Americano Zagara“ mit rotem Wermut, der mit Orangenzeste infundiert wurde, Martini Bitter, Orangenblütenwasser und Pink Grapefruit Soda.

Neapel ist definitiv nochmal einen Besuch wert – dann beginnen wir die Reise aber mit dem großartigen l’Antiquario, wenn wir noch im Vollbesitz unserer Kräfte sind. Ciao, bella Napoli, alla prossima!

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