Die »Goldene Bar« im Haus der Deutschen Kunst 1937 (Teil 3 von 3)

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Teil 3: Die »Goldene Bar« im Krieg und danach

[Lesedauer: 21 Minuten]

Das Haus der Deutschen Kunst überstand den Zweiten Weltkrieg weitestgehend unbeschadet, obwohl der Bombenkrieg kaum einen Monat, nachdem Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast den „Totalen Krieg“ ausgerufen hatte, im März 1943 München erreichte.[127] Hitlers Prestigeprojekt war zu diesem Zeitpunkt bereits durch Tarnnetze und künstliche Baumkronen auf dem Dach[128] optisch mit dem Englischen Garten verschmolzen, so dass im selben Sommer sowie 1944 noch jeweils die GDK stattfand. Die enorme Bedeutung der Institution lässt sich auch daran ablesen, dass der »Führer« noch im Februar 1945, also drei Monate vor seinem Selbstmord und vor der überfälligen Kapitulation Deutschlands, die Vorbereitung der GDK für den Sommer anordnete.[129] Darauf, dass auch die Gastronomie weiter betrieben wurde, deuten die Ausstellungskataloge hin. Sabine Brantl geht davon aus, dass der Betrieb „ohne Einschränkungen“ weiterlief.[130]

Das Haus der Deutschen Kunst in München 1945, noch teilweise von Tarnnetzen verhangen, in: Welche Farbe hat der Krieg? Spiegel TV, 2000. Teil 2 ab 1:00:45 bis 1:00:49, Video: Kameramann des Special Film Project 186 der United States Army Air Forces (USAAF) / Stitch aus zwei Aufnahmen von Christoph Waghubinger, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Special_Film_Project_186_-_Haus_der_Deutschen_Kunst.jpg (27.03.2024).

Cocktails in Hitlers Kunsttempel?

Doch was wurde getrunken in der »Goldenen Bar«? Dürfen wir das Bildprogramm wie eine Barkarte lesen? Während genau das heute gerne vorausgesetzt wird,[131] müssen sich auch die damaligen Pächter nicht notwendigerweise danach gerichtet haben. Überdies dürfte im Verlauf des Krieges ab 1939 manch eine Flasche schwer zu beschaffen gewesen sein. Auf der anderen Seite war damit zu rechnen, dass der Anblick der Abbildungen Begehrlichkeiten bei den Gästen weckte. Vor diesem Hintergrund ist die Beschränkung auf halbe Helle und Kännchen Kaffee trotz des Massenpublikums unwahrscheinlich.

Aus den Werbeanzeigen in den Ausstellungskatalogen wissen wir, dass Löwenbräu den „Alleinausschank im Haus der Deutschen Kunst“ für sich gesichert hatte.[132] Im Katalog des Eröffnungsjahres warb zudem das Pfälzer Weingut Schwarzwälder aus Diedesfeld bei Neustadt, dass seine Weine im Haus der Deutschen Kunst verfügbar waren.[133] Die Weinbrennerei und Likörfabrik Anton Riemerschmid, die heute vor allem für ihre Barsirups ein Begriff ist, hatte eine Anzeige geschaltet,[134] ohne dass sich sagen lässt, ob man die Liköre in der »Goldenen Bar« bekam. Dasselbe gilt für Dujardin, die ab 1810 als erstes Unternehmen deutschen Cognac mit Weinen aus der Charente brannten. Man warb im Katalog der GDK des Jahres 1943,[135] bevor noch im selben Sommer die Produktionsstädte in Uerdingen am Rhein durch einen Luftangriff zerstört wurde.[136]

Abb. links: Anzeige Riemerschmid in: Große Deutsche Kunstausstellung 1944. Offizieller Ausstellungskatalog, München: F. Bruckmann 1944, 38.

Cocktails waren in Deutschland etabliert, seit Ende des 19. Jahrhunderts die American Bars aufgekommen waren, häufig als Teil eines Hotelbetriebs. Der anfänglich unverständliche Begriff »Bar« verselbständigte sich jedoch im Deutschen, bekam etwas Anrüchiges und wurde vor allem mit Tanz und Musik assoziiert. Cocktails waren in Deutschland nicht das wesentliche Merkmal einer Bar, zumal der deutsche Trinker neben Bier, Wein und Sekt gerne Liköre und Geiste schlürfte, ohne dass diese irgendwie miteinander vermengt wurden. Die amerikanische Herkunft des Cocktails war im kollektiven Bewusstsein der Deutschen verankert. Aber das hinderte die edlen, kühlen Mischgetränke auch nach 1933 nicht daran zu existieren. Einerseits wurde alles Undeutsche verfemt, wurde despektierlich über fremdländische Mischgetränke gepoltert oder wurden die italienischen Kameraden zur Disziplin aufgerufen, bei ihrem Wermut zu bleiben, um die heimischen Winzer nicht auszubluten.[137] Andererseits hören wir vom Vorgehen der Nazis gegen Bars einzig im Zusammenhang mit jüdischen Betreibern oder Künstlern, die in die tödliche Maschinerie des Holocaust gerieten. Das Betreiben einer Bar an sich war anscheinend nicht undeutsch genug, um zur Zielscheibe zu werden.

Bars im Dritten Reich: Ansichtskarte der „Americain Bar“ [sic] des Eden-Hotel in Berlin, 1936.

Das Phänomen Cocktail scheint kein Problem gewesen zu sein, das in den Fokus der Nazis geriet. Einige wenige Cocktailbücher aus Deutschland zwischen 1933 und 1945 sind bekannt, am berühmtesten wohl heute „Das kleine Mixbüchlein“, das der Münchener Fritz Waninger 1940 im Selbstverlag herausgebracht hatte.[138] Die Firma Bols, die seit dem späten 16. Jahrhundert aus der Welt der Liköre und Spirituosen nicht wegzudenken war, schaltete ausgerechnet in der Zeitschrift Die Kunst für Alle regelmäßig Anzeigen. Im Dezember 1940 warb man hochmodern mit einem Foto der eigenen Produkte, das auch einen klassischen Cobbler-Shaker zeigte. Darin war technisch aufwändig die Schrift montiert: „Bols Silver Top Dry Gin ist ganz besonders rein im Geschmack und ergibt einen ganz hervorragenden Cocktail.“[139]

Anzeige Bols in: Die Kunst für Alle, 56. Jg., Heft 3, München: F. Bruckmann 1940, 21, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kfa1940_1941/0141 (29.03.2024).

Hitler selbst war ein ausgemachter Kostverächter, was Alkohol angeht – das ist weithin bekannt.[140] Schon als junger Mann in Wien beschäftigte er sich mit der Idee für ein alkoholfreies »Volksgetränk«.[141] Trotzdem ließ der »Führer« offenbar seinen Getreuen ihren Spaß. Schließlich musste Rudolf Heß sein Eckbüro im »Führerbau« zugunsten der Bar aufgeben – was auch den Zeitgenossen Verwunderung abrang: „Obwohl der Führer selbst gegen Alkohol- und Tabakkonsum ist, hat er für seine Gäste einen prachtvollen Rauchsalon und eine Bar bereitgestellt.“[142] Gerade hier in München hatte die »Bewegung« ihre Anfänge in Bierlokalen gehabt.[143]

Dass Hitler hingegen eine Schwäche für Cocktails hatte, darf man wohl ausschließen. Nichtsdestotrotz haben sich Bar-Utensilien erhalten, die aus seiner unmittelbaren Nähe stammen. Von der „Grille“, einem leichten Kriegsschiff des Typs Aviso, das Hitler als persönliche Yacht zur Verfügung stand, hat sich aus der Offiziersmesse ein Cobbler-Shaker mit Henkel und eingravierter Hakenkreuzflagge erhalten.[144] Im Besitz des amerikanischen Sammlers Stephen Visakay befindet sich ein silbernes Set mit Hawthorne-Strainer, einer Zitronenpresse mit den Initialen »AH« sowie einem geschwungenen Tin-in-Tin-Shaker mit Hoheitszeichen. Das Ensemble hatte anscheinend ein amerikanischer Offizier im April 1945 bei der Einnahme von Hitlers Residenzen am Obersalzberg an sich genommen.[145] Sofern diese Gegenstände nicht alle Fälschungen sind, belegen sie, dass Cocktails auch in NS-Führungskreisen prinzipiell toleriert werden konnten.

Ein Cocktail-Shaker aus dem Kehlsteinhaus („Adlerhorst“), in: Aimee Lee Ball, Elements of Style. Drink Time for Hitler, in: GQ 12/1994, 66, https://www.aimeeleeball.com/Site/GQ_files/Cocktail%20Shakers.pdf (20.03.2024).

Amerikaner, Karnevalisten und kritischer Rückbau

Mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen in München am 30. April 1945 wurde das Haus der Deutschen Kunst beschlagnahmt. Ein großes, unzerstörtes Gebäude mit funktionierender Infrastruktur konnte die amerikanische Militärregierung nicht ungenutzt lassen. Es wurde ein Officers‘ Club für Freizeitaktivitäten eingerichtet. Auf den Boden der ehemaligen »Ehrenhalle« malten die G.I.s Markierungen für ein Basketballfeld.[146] Neben einer Kantine und einem Tanzsaal gab es eine Bar, die den Offizieren erschwingliche Drinks nach Art der fernen Heimat bot: „Ein Champagner »Pick me up« kostete im »Officers’ Club« 40 Cent, ein Cocktail wie »Pink Lady« oder »Edelweiss« 50 Cent.“[147]Es ist kaum vorstellbar, dass man hierfür nicht die »Goldene Bar« nutzte. Ob Shaker, Strainer und Jigger bereits vorhanden waren, bleibt für den Augenblick ein Rätsel. Spätestens jetzt gab es erwiesenermaßen Cocktails im Haus der Deutschen Kunst. Unter »Pick me ups« und »Pink Ladies« können sich Cocktail-Begeisterte etwas vorstellen, aber was ein »Edelweiss« war, muss leider ungewiss bleiben. Der Name der berühmten Gebirgsblume war durchaus naheliegend für Amerikaner im alpennahen München, insbesondere da auch militärische Bezüge bestanden: Deutsche Gebirgsjäger der Waffen-SS hatten sie als Emblem getragen und das Kampfgeschwader 51 der Luftwaffe war als „Edelweiss Wing“ bekannt. Von amerikanischer Seite wusste man vielleicht um die „Operation Edelweiss“, die in der Endphase des Krieges die Gefangennahme Hitlers zum Ziel hatte.[148]

Bereits im Januar 1946, kein Jahr nach Kriegsende, wurde der Ausstellungsbetrieb wieder aufgenommen und das Gebäude unter neuem Namen als Haus der Kunst (HdK) wiedereröffnet. Die Amerikaner verfolgten damit das Ziel, den Deutschen mit der Kultur auch Demokratie und Toleranz nahezubringen.[149] 1948 wurde das Gebäude dem bayerischen Staat übergeben.[150] In der Folgezeit entwickelte sich das HdK „zu einem zentralen Ort der deutschen und internationalen Moderne […], deren Zerstörung es ursprünglich symbolisieren sollte.“[151]Ab 1949 fanden im HdK vom Museumsverein organisierte Faschingsfeste statt, die nicht den amerikanischen Soldaten vorbehalten waren und nachhaltig Eindruck bei den Münchenern machten: „25 Jahre lang war das Haus Faschingshochburg. Meine Großeltern haben mir davon erzählt“, berichtet Sabine Brantl.[152] Die »Goldene Bar« wurde von Zeitzeugen als „der beste Jazzclub der Welt“ bezeichnet.[153] Jedoch schimmerte die Bar nicht mehr lange golden: In den fünfziger Jahren wurden Sperrholzplatten über Dallingers Bilder geschraubt, die durch den Maler Gyorgy Stefula (1913-1999) mit idyllischen Szenen aus dem Nymphenburger Park im Münchener Westen verziert wurden — „schon war die anrüchige Vergangenheit wie weggezaubert“.[154]

Flyer zur Faschingsparty „Venezianische Nacht“ im Haus der Kunst 1953.

Die Nachkriegsgeschichte des HdK war und ist von einem Ringen um den richtigen Umgang mit der NS-Vergangenheit des Ortes geprägt.[155] Das gilt sowohl für die ausgestellte Kunst als auch für das Gebäude selbst. Die kontrovers diskutierten Ansätze reichten von tatsächlich durchgeführten Umbaumaßnahmen mit dem Ziel, dem Haus den monumentalen Charakter zu nehmen,[156] bis hin zu vollständigen Abrissplänen (denen jedoch nur die große Freitreppe vor dem Haupteingang 1971 zum Opfer fiel).[157]

Ein deutlicher Paradigmenwechsel erfolgte 2003 mit dem Amtsantritt des damaligen Direktors der Stiftung Haus der Kunst, Chris Dercon. Um München „von seinem Ruf als Hauptstadt der Verdrängung zu befreien“,[158] setzte er unter dem Schlagwort „kritischer Rückbau“ auf die transparente Auseinandersetzung mit dem belastenden Erbe.[159] Auf der einen Seite wurde die historische Dokumentation und Aufarbeitung gefördert, u.a. durch die Öffnung und Erschließung des Archivs, das bis heute unter der Leitung von Sabine Brantl steht. Auf der anderen Seite wurde ein umfassender Rückbau in den Originalzustand der Nazizeit vollzogen. Der Bruch mit dem, für was der Ort stand, sollte vornehmlich über die ausgestellten Werke „der oft widerspenstigen internationalen Gegenwartskunst“[160] geschehen. Der Ansatz blieb natürlich nicht unwidersprochen:

„Jetzt soll kein Gras mehr wachsen über die Geschichte, jetzt soll alles offen daliegen. Ist das Transparenz, ein Sieg des demokratischen Geschichtsverständnisses? Oder im Gegenteil eine Kapitulation vor der Wucht gigantomanischer Weltentwürfe, in denen es sich ja auch ganz gut speisen, feiern, Kunst genießen lässt?“[161]

So kommt die Kunstkritikerin Kia Vahland zu dem Schluss, dies sei „keine Demokratisierung, sondern die pure Einfallslosigkeit.“[162]Die Null-Lösung ist für viele Probleme die einfachste Lösung, steht jedoch schnell unter dem Verdacht der Faulheit. Aussagen wie „Mauern tragen keine Schuld“[163] oder „es sitzt sich hier so gut, darüber hat sich noch niemand beschwert“,[164] helfen nicht, diesem Verdacht entgegenzutreten.

Das HdK ist mit Sicherheit eine Besonderheit, was seine ursprüngliche Funktion und Bedeutung im Dritten Reich angeht. Trotzdem sind unzählige Erzeugnisse der NS-Kunst und -Architektur, manchmal unerkannt, zumeist aber unbenannt, einfach da und gehören unwidersprochen zum gewohnten Lebensumfeld – darunter das eine oder andere aus der Hand von Karl Heinz Dallinger. Wie man nach 1945 nur schwer Künstler, Architekten und Luftwaffenbefehlshaber ohne braune Vergangenheit herzaubern konnte, so galt dies noch mehr für Kunst- und Bauwerke, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten. In einer grundsätzlichen »Cancel Culture« gegenüber der Kunst des Dritten Reiches sieht die Historikerin Katrin Hartewig auch irrationale Beweggründe am Werk: „Noch immer fürchten viele Zeitgenossen eine Art von ideologischer Kontamination, die von dieser Kunst ausgehen könnte. Platt gesagt würde danach jeder, der »Nazi-Kunst« betrachtet, umgehend zum Nazi.“[165]

Durch solche Ängste wird der braunen Propaganda genau die Macht zugebilligt, die sie beansprucht hatte – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Die exemplarischen, sehr unterschiedlichen Stimmen demonstrieren, dass das HdK auch fast 80 Jahre nach Ende des »Tausendjährigen Reiches« zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zwingt. Vergangenheitsbewältigung ist kein Zustand, der erreicht wird, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der immer auch an den Herausforderungen der eigenen Zeit ausgerichtet sein muss. Aktuelle kulturpolitische Forderungen vom rechten Rand der Parteienlandschaft erinnern mitunter an das Konzept »Entartete Kunst«[166] und lassen die Ausstellungen, deren Besuch man heute mit einem Cocktail in der Goldenen Bar verbinden kann, Stachel im braunen Fleisch sein:

„So hatte sich das Haus der Kunst seit seiner Eröffnung im Juli 1937 vom wichtigsten Schauplatz nationalsozialistischer Kunstrepräsentation zu einem zentralen Ort der deutschen und internationalen Moderne entwickelt, deren Zerstörung es ursprünglich symbolisieren sollte.“[167]

Die Goldene Bar heute und das Erbe von damals

Nach fast einem halben Jahrhundert unter Sperrholz wurden die goldenen Wandbilder der Bar 2003 bei Sanierungsarbeiten freigelegt.[168] Die Bar wurde als Café genutzt und mitunter in Ausstellungen einbezogen. So kontrastierte der Industriedesigner Konstantin Grcic im Rahmen seiner 2006er Ausstellung „ON/OFF“ die Ästhetik der Bar mit weißen Biertischen und -bänken, die so ineinander verschachtelt waren, dass man die Mitte des Raumes über eine Brücke betreten musste.[169] Als die Bar 2010 grundlegend renoviert wurde, stieß der »kritische Rückbau« an seine Grenzen, da der Originalzustand in manchen Details nicht klar war. In der Süddeutschen wurden Zeitzeugen aufgerufen, sich mit Hinweisen telefonisch beim HdK zu melden.[170] (Wie oben gezeigt, war die unterste grüne Farbschicht auf den alten Holzelementen nicht der Originalzustand…)

Foto des Verfassers aus dem Juni 2017 im Rahmen des Besuchs einer Ausstellung, noch völlig ohne Bewusstsein für die Geschichte des Ortes oder die Qualität der Drinks.

Klaus St. Rainer, der zu dieser Zeit als Barkeeper im Schumann‘s arbeitete, und seine Partnerin Leonie von Carnap setzten sich in einer Ausschreibung gegen 48 Mitbewerber durch und konnten noch im selben Jahr am 14. Oktober die Bar eröffnen, die nun ganz offiziell Die Goldene Bar heißt. Neben einem Tagescafé gibt es eine verlängerte Abendöffnung, die dazu einlädt, sich an klassischen Cocktails mit modernem Twist gütlich zu tun, die ihresgleichen suchen. „So wie wir die 2003 »wiedergefundenen« geschichtsträchtigen Räume mit neuen Ideen kreativ und verantwortungsbewusst interpretieren“, erklärt Rainer, „gehe ich auch mit den Drinks um.“[171] Dem Purismus des »kritischen Rückbaus« zum Trotz trägt die Bar ihre eigene Handschrift mit einem Mix aus Mid-Century-Möbeln und einem 1920er-Jahre-Kronleuchter aus dem Hotel Savoy in Zürich sowie kruden Graffiti-Kritzeleien und einem großen Leuchtbild des Münchener Malers Florian Süssmayr.[172]

Dagegen fallen Karl Heinz Dallingers Wandmalereien in der hippen Umgebung völlig aus der Zeit. Manch einem Gast dürfte gar nicht klar sein, wie alt sie tatsächlich sind. Dass sie heute wie im Dritten Reich mehr oder weniger dieselbe Funktion erfüllen, nämlich Menschen das Trinken zu verschönern, versursacht nur dann ein Störgefühl, wenn man sich – wie hier geschehen – aktiv mit ihrem Kontext und ihrer Geschichte auseinandersetzt. Nimmt man die Idee des »kritischen Rückbaus« jedoch an, funktioniert auch die Bar.

Abb. links: Okwui Enwezor in der Goldenen Bar, Direktor der Stiftung Haus der Kunst gGmbH 2011-2018, verstorben 2019. Mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Maximilian Geuter.

Der Worst Case wäre wohl, dass das HdK gleichsam als übergroße »Führer«-Reliquie zu einer Pilgerstätte für Neonazis würde. Wenn man liest, dass die bayerische AfD-Fraktionsvorsitzende auf die Idee kam, einen Abend in der Goldenen Bar zu verbringen, stellt sich wenigstens beim Verfasser Unbehagen ein. Wenn man dann aber weiterliest, dass dieselbe Person, als sie erkannt wurde, des Lokals verwiesen wurde,[173] herrscht Optimismus, dass sich die Vision des ehemaligen HdK-Direktors Okwui Enwezor materialisiert haben könnte: Er träumte, so berichtet die Süddeutsche,

„von einer weltoffenen Begegnungsstätte, einem Kulturzentrum, in dem nicht nur wie bisher die Gegenwartskunst zu ihrem Recht kommt, sondern auch Diskussionsrunden, Bühnenveranstaltungen, Lesungen Raum finden. Ein Ort, an dem man auch ohne Grund hingeht, um etwas zu essen, Zeitung zu lesen, Leute zu treffen. Je mehr Leben sich hier abspielt, desto erträglicher wird in den Augen des gebürtigen Nigerianers die Last der Geschichte.“[174]

Der Verfasser freut sich auf einen Cocktail in der Goldenen Bar bei seinem nächsten Besuch in München.

Teil 1: Der Führer schenkt den Münchenern eine Bar
Teil 2: Karl Heinz Dallinger, der Maler der »Goldenen Bar«


Anmerkungen

[127] Schwarz 2011, 107.

[128] Haus der Kunst, Über uns, Geschichte, https://www.hausderkunst.de/ueber-uns/geschichte/chronik (10.03.2024).

[129] Schnellbrief des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda vom 05.02.1945 an den Direktor des Hauses der Deutschen Kunst, abgedruckt in: Brantl 2017b, 269; vgl. ebd. 179.

[130] Brantl 2017b, 179.

[131] Vgl. Hartewig 2018, 137: „Seine wandfüllenden Fresken [sic] auf goldfarbigem Grund zeigten die Herkunftsländer und Regionen aller Spirituosen, Weine und Rauchwaren, die auf der Karte standen“. Vgl. auch MIXOLOGY BAR TV – Bartender 360° – Klaus St. Rainer, in: YouTube, 16.09.2015, 1’53, https://www.youtube.com/watch?v=sr5v3KyICY4&t=1m53s (11.03.2024): „Interessant ist, dass die ganzen Szenerien, die hier rund herum sind, die alle mit Trinken zu tun haben, damals so gedacht waren, dass es eine projizierte Getränkekarte war. Alles, was an den Wänden ist, konnte man früher hier bestellen in dieser Bar.“

[132] Vgl. bspw. Große Deutsche Kunstausstellung 1937. Offizieller Ausstellungskatalog, München: Knorr & Hirth 1937, 49, https://archive.org/details/grosse-deutsche-kunstausstellung-1937_202311 (11.03.2024). Zur Situation von Großbrauereien im Dritten Reich vgl. Ambros Waibel, „Lauter betrunkene Volksgenossen“. Historikerin über Nazis und Bier (Interview mit Dorothea Schmidt), in: taz, 20. 1. 2020, https://taz.de/Historikerin-ueber-Nazis-und-Bier/!5654865/ (01.03.2024).

[133] Große Deutsche Kunstausstellung 1937. Offizieller Ausstellungskatalog, München: Knorr & Hirth 1937, 47, https://archive.org/details/grosse-deutsche-kunstausstellung-1937_202311 (11.03.2024).

[134] Große Deutsche Kunstausstellung 1944. Offizieller Ausstellungskatalog, München: F. Bruckmann 1944, 38, https://archive.org/details/grosse-deutsche-kunstausstellung-1944_202311 (13.03.2024).

[135] Große Deutsche Kunstausstellung 1944. Offizieller Ausstellungskatalog, München: F. Bruckmann 1943, 51, https://archive.org/details/grosse-deutsche-kunstausstellung-1943_202311 (13.03.2024).

[136] Dujardin (Unternehmen), in: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie, https://de.wikipedia.org/wiki/Dujardin_(Unternehmen)#Geschichte (27.02.2024); vgl. auch Ehmer & Hindermann 2022, 19 f.

[137] R. S., Contra Cocktail. Italiener trinken Wermut, in: Die neue Woche. Sonntagsbeilage zum Neuen Tag, Köln, 20.06.1937, 7, https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/IWG6MPOM4WJ3UY3TMR7KI3FVRQFNVFNR (04.03.2024).

[138] Fritz Waninger, Das kleine Mixbüchlein. 50 Standardgetränke nebst einer Anleitung zum Mixen, München: Selbstverlag 1940; vgl. Martin Stein, Wie ein kleines Barbuch aus München die American Bar unter den Nazis weiterleben ließ, in: Mixology. Magazin für Barkultur, 15.10.2019, https://mixology.eu/american-bar-nazis-franz-waninger-muenchen/ [sic] (04.03.2024).

[139] Die Kunst für alle. Malerei, Plastik, Graphik, Architektur, 56. Jahrgang, Heft 3, Dezember 1940, München: F. Bruckmann, 21, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kfa1940_1941 (04.03.2024).

[140] Kershaw 2013, 79, 82; Ullrich 2013, 453.

[141] Kershaw 2013, 74; Fest 1979, 52.

[142] Adolf Dresler, Das Braune Haus und die Verwaltungsgebäude der Reichsleitung der NSDAP, München ³1939, 36, zit. n. Seckendorff 1995, 138.

[143] Ambros Waibel, „Lauter betrunkene Volksgenossen“. Historikerin über Nazis und Bier (Interview mit Dorothea Schmidt), in: taz, 20. 1. 2020, https://taz.de/Historikerin-ueber-Nazis-und-Bier/!5654865/ (01.03.2024); Kershaw 2013, 173 ff.

[144] The Saleroom, Los 6862, Auktionshaus Hermann Historica, München 12.12.2014, https://www.the-saleroom.com/de-de/auction-catalogues/hermann-historica-ohg/catalogue-id-srher10000/lot-ed5378ae-6b9f-4c70-934b-a40100e11531 (30.03.2024).

[145] Aimee Lee Ball, Elements of Style. Drink Time for Hitler, in: GQ 12/1994, 66, https://www.aimeeleeball.com/Site/GQ_files/Cocktail%20Shakers.pdf (20.03.2024).

[146] Strich im Tempel, in: Der Spiegel 17/1965, https://www.spiegel.de/politik/strich-im-tempel-a-561f0df3-0002-0001-0000-000046272325 (22.02.2024).

[147] Hitlers Schatzbücher im Keller, in: Focus Online, 12.11.2013, https://www.focus.de/kultur/kunst/hitlers-schatzbuecher-im-keller-zeitgeschichte_id_2294953.html (22.02.2024). Zu Getränken als „Brücke in die Heimat“ vgl. Rudeck 2023, 206 ff.

[148] Leontopodium nivale, Symbolic uses, World Wars, in: Wikipedia. The Free Encyclopedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Leontopodium_nivale#World_Wars (20.03.2024).

[149] Brantl 2017a, 34 f.; vgl. Enwezor 2017, 16.

[150] Brantl 2020, Der Ausstellungsbetrieb nach 1945.

[151] Brantl 2017a, 41.

[152] Hitlers Schatzbücher im Keller, in: Focus Online, 12.11.2013, https://www.focus.de/kultur/kunst/hitlers-schatzbuecher-im-keller-zeitgeschichte_id_2294953.html (22.02.2024).

[153] Monumentaler Arbeitsplatz – gepe reinigt das „Haus der Kunst“ in München, in: gepe’chen 3, August, 2020, 7, https://www.gepe-peterhoff.de/wp-content/uploads/2020/08/gepechen0320.pdf (13.03.2024).

[154] Görl 2010.

[155] Enwezor 2017, 16 f.; Vahland 2016; Görl 2010.

[156] Die goldene Bar, Geschichte, 2017, https://www.goldenebar.de/geschichte/ (27.02.2024).

[157] Strich im Tempel, in: Der Spiegel 17/1965, https://www.spiegel.de/politik/strich-im-tempel-a-561f0df3-0002-0001-0000-000046272325 (22.02.2024).

[158] Geiger 2005.

[159] Görl 2010.

[160] Vahland 2016a.

[161] Vahland 2016a.

[162] Vahland 2016a.

[163] Görl 2010 zitiert so Christoph Vitali, den ehemaligen Direktor des HdK.

[164] Vahland 2016a zitiert so Okwui Enwezor, ebenfalls ehemaliger Direktor.

[165] Hartewig 2018, 13.

[166] Vgl. Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten, AfD-Fraktion will Kulturpolitik grundsätzlich neu ausrichten, Kultur und Medien — Antrag — hib 40/2023, 19.01.2023, https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-929882 (07.03.2024).

[167] Brantl 2017a, 41.

[168] Monumentaler Arbeitsplatz – gepe reinigt das „Haus der Kunst“ in München, in: gepe’chen 3, August, 2020, 7, https://www.gepe-peterhoff.de/wp-content/uploads/2020/08/gepechen0320.pdf (13.03.2024).

[169] Die goldene Bar, Geschichte, 2017, https://www.goldenebar.de/geschichte/ (27.02.2024); Walter Kittel, On/Off, in: Deutschlandfunk, 19.03.2006, https://www.deutschlandfunk.de/on-off-100.html (13.03.2024).

[170] Görl 2010.

[171] Rainer 2014, 6.

[172] Die goldene Bar, Geschichte, 2017, https://www.goldenebar.de/geschichte/ (27.02.2024).

[173] Johannes Heininger, Klaus-Maria Mehr & Sven Rieber, AfD-Politikerin fliegt aus Münchner Bar – darum war das KEINE Diskriminierung, in: TZ München, 22.11.2018, https://www.tz.de/muenchen/stadt/altstadt-lehel-ort43327/afd-politikerin-ebner-steiner-fliegt-aus-bar-in-muenchen-darum-war-keine-diskriminierung-zr-10559829.html (23.02.2024); Philipp Gaux, Da ist die Tür: Die AfD muss leider draußen bleiben! Ein Kommentar zum Hausrecht, in: Mixology. Magazin für Barkultur, 01.12.2018, https://mixology.eu/hausrecht-bar-ebner-steiner-goldene-bar/ (07.03.2024).

[174] Vahland 2016a.


Abgekürzt zitierte Literatur

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