Q: F.W. Vulpius, Amerikanische Erfahrungen 1847

Inhaltsverzeichnis | Table of contents


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Einführung

Friedrich Wilhelm Vulpius wurde am 17. Dezember 1801 in Pforzheim geboren. Dort besuchte er die Schule und absolvierte anschließend eine Lehre als Apothekerhelfer bei seinem Vater. Im Jahr 1824 begann er das Studium der Pharmazie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Nach dem Studienabschluss an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Jahr 1826 nahm er eine Anstellung in der Apotheke seines Onkels im badischen Müllheim im Markgräflerland an.

Vulpius war vermutlich in einem der Polenvereine aktiv, die sich nach dem Novemberaufstand 1830/31 zur Unterstützung polnischer Flüchtlinge gründeten. Politisch waren diese Vereine ein Baustein für die Formierung der liberalen und demokratischen Bewegung in Deutschland. So war eine Losung auf dem Hambacher Fest 1832: „Ohne Polens Freiheit keine deutsche Freiheit!“ Aufgrund seiner Aktivitäten wurde Vulpius wegen Majestätsbeleidigung verurteilt und floh in die Schweiz.

Dort wurde er im Jahr 1836 verhaftet, da er mutmaßlich in Verbindung zu dem revolutionären, demokratisch-liberalen Geheimbund „Junges Deutschland“ stand. Er wandte sich an den badischen Gesandten in Bern, konnte jedoch nicht erwirken, dass ihm bei einer Rückkehr Strafnachlass zugesichert wurde. So wanderte er 1837 über Frankreich in die Vereinigten Staaten aus und ließ sich in Illinois nieder. Im Jahr 1844 kehrte er nach Müllheim zurück und veröffentlichte 1847 sein hier zitiertes Büchlein Amerikanische Erfahrungen. Winke und Warnungen für Auswanderungslustige mit einem Vorwort des sozialistischen Publizisten Hermann Püttmann. Vulpius ist damit ein Beispiel liberaler und demokratischer Kräfte in Deutschland, die im sog. Vormärz, also der Zeit vor der Märzrevolution des Jahres 1848, politisch verfolgt wurden.

Von 1863 bis 1871 publizierte Vulpius Berichte seiner botanischen Exkursionen in die Alpen und den Schwarzwald in der Österreichischen botanischen Zeitschrift. Er versuchte zudem, alpine Pflanzen wie Edelweiß und Alpenrose im Schwarzwald anzubauen. Nach seinem Tod 1892 ging sein Herbarium in den Besitz des Badischen Botanischen Vereins über und besteht wohl bis heute in Karlsruhe.

Seine Winke und Warnungen für Auswanderungslustige sind wohl vor dem Hintergrund zu verstehen, dass er nach sieben Jahren in Amerika desillusioniert zurückkehrte. Viele Deutsche sahen in Amerika einen Zufluchtsort, an dem sie hofften, politische Freiheit genießen und zu Wohlstand kommen zu können. Püttmann polemisiert dagegen im Vorwort: „Sucht ihr Ehre und Freiheit in Amerika, ihr findet menschliche Entwürdigung und Knechtschaft.“ (S. IV) Umso überraschender ist es, dass Vulpius trotz seiner Absicht zu warnen selbst erklärt, „ein anschauliches, wahres und treues Bild von den Verhältnissen des Landes und dem Leben und Treiben seiner Bewohner“ (S. X) vermitteln zu wollen. In dem hier zitierten Abschnitt zur amerikanischen Cocktail- und Barkultur profitieren wir offenkundig von diesem Anspruch.

Introduction

Friedrich Wilhelm Vulpius was born in Pforzheim on 17 December 1801. He attended school there and then completed an apprenticeship as a pharmacist’s assistant with his father. In 1824, he began studying pharmacy at the Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. After graduating from Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg in 1826, he took up a position in his uncle’s pharmacy in Müllheim in the region of Baden.

Vulpius was probably active in one of the Polish associations that were founded after the November Uprising of 1830/31 to support Polish refugees. Politically, these associations were a component in the formation of the liberal and democratic movement in Germany. One of the slogans at the Hambach Festival in 1832 was: ‘No German freedom without Polish freedom!’ Due to his activities, Vulpius was convicted of lèse majesté and fled to Switzerland.

He was arrested there in 1836 as he was suspected of being connected to the revolutionary, democratic-liberal secret society ‘Young Germany’. He turned to the Baden envoy in Bern, but was unable to secure a pardon on his return. He therefore emigrated to the United States via France in 1837 and settled in Illinois. He returned to Müllheim in 1844 and in 1847 published his booklet Amerikanische Erfahrungen. Winke und Warnungen für Auswanderungslustige (American experiences and warnings for those wishing to emigrate) with a foreword by the socialist publicist Hermann Püttmann. Vulpius is thus an example of liberal and democratic forces in Germany who were politically persecuted during the so-called Vormärz, the period before the March Revolution of 1848.

From 1863 to 1871, Vulpius published reports of his botanical excursions to the Alps and the Black Forest in the Österreichische botanische Zeitschrift. He also attempted to cultivate alpine plants such as edelweiss and alpine rose in the Black Forest. After his death in 1892, his herbarium became the property of the Baden Botanical Society and presumably still exists in Karlsruhe today.

His Winke und Warnungen für Auswanderungslustige (Winks and Warnings for Emigrants) should probably be understood against the background that he returned disillusioned after seven years in America. Many Germans saw America as a place of refuge where they hoped to enjoy political freedom and prosperity. Püttmann polemicises against this in the preface: ‘If you seek honour and freedom in America, you will find human degradation and servitude.’ (p. IV) It is all the more surprising that despite his intention to warn, Vulpius himself declares that he wants to convey ‘a vivid, true and faithful picture of the conditions of the country and the life and activities of its inhabitants’ (p. X). In the section on American cocktail and bar culture quoted here, we obviously benefit from this approach.


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Vulpius, Amerikanische Erfahrungen. Winke und Warnungen für Auswanderungslustige, 1847

🇩🇪 Friedrich Wilhelm Vulpius, Amerikanische Erfahrungen. Winke und Warnungen für Auswanderungslustige, Konstanz: Belle-Vue 1847, https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb11686658 (21.12.2024).

🇬🇧 Karsten C. Ronnenberg, 2024, with the help of deepl.com.

Kap. Verschiedene Sitten und Gebräuche, S. 46-48Ch. Various customs and traditions
In Bezug auf die geistigen Getränke des Landes ist das gebräuchlichste Whisky: ein ziemlich starker Branntwein aus Welschkorn [sc. Mais] mit Zusatz von etwas Roggen. Davon wird beinahe in jedem Hause ein Krug voll vorräthig gehalten. In den Wirths- und Kaffehäusern trinkt man außer Whisky Brandy, Cognac etc. und Wein und Bier. In einer Bouteille wird auch noch „Bitters“ hingestellt. In alle Schnapsarten mischt nämlich der Amerikaner geriebenen weißen Zucker und „Bitters“, zuweilen auch noch anderes, z. B. Pfeffermünzessenz, Muskatnuß etc. Alles was er trinkt, muß süß schmecken und stark sein. Von Wein versteht er gar nichts, und was unter dem Namen Wein in den Wirthshäusern gereicht wird, ist meistens aus Frankreich eingeführtes künstlich fabrizirtes Zeug aus Branntwein, Wasser, Zucker und Gewürz. Es schmeckt süß und erregt hintennach Kopfschmerz. Bei besonderer Veranlassung trinkt man noch Champagner, Port und Madera [sic], wenigstens so getauft; Rheinwein, der in nicht unbedeutender Menge eingeführt |47| wird, trinken nur die Deutschen, denn der Amerikaner findet ihn schlecht, weil er nicht süß schmeckt. Fast jeder, wenn er nicht ein Temperenzmann ist, nimmt Morgens nüchtern vor dem Frühstück seinen „Bittern“.As far as the country’s spirits are concerned, the most common is whisky, a fairly strong spirit made from welsh grain [i.e. corn] with a little rye added. A jug full of it is kept in almost every house. In the inns and coffee houses they drink brandy, cognac etc. as well as wine and beer. ‘bitters’ are also served in a bottle. Americans mix ground white sugar and ‘bitters’ into all types of liquor, and sometimes other things too, e.g. peppermint extract, nutmeg, etc. Everything he drinks must taste sweet and be strong. He knows nothing about wine, and what is served under the name of wine in the inns is mostly artificially manufactured stuff imported from France made from brandy, water, sugar and spices. It tastes sweet and gives you a headache afterwards. On special occasions, people also drink champagne, port and madeira, at least baptised as such; Rhine wine, which is imported in not insignificant quantities, is only drunk by the Germans, as Americans find it bad because it does not taste sweet. Almost everyone, if they are not a temperance man, takes their ‘bitter’ sober in the morning before breakfast.
Wie es in Deutschland Sitte ist, daß Frauen und Mägde auf den Markt gehen und einkaufen, so thun es in Amerika die Männer. Der Mann nimmt, sowie er aufgestanden ist, den Henkelkorb an den Arm und geht auf den Markt um Fleisch, Gemüse, Butter, Eier und was die Küche nöthig hat einzukaufen. Auf dem Heimwege wird dann wieder in einer befreundeten grocery der „Bittere“ genommen. Das Gemach in Kaffe- und Wirthshäusern, wo die Getränke aufgestellt sind, wird Bar genannt; es ist ein Zimmer mit 2-3 Schäften an einer Wand versehen, auf denen die Schnapsflaschen (Liquor Bottels) Parade machen, und zur Ausschmückung je zu zweien durch eine Citrone getrennt sind. Davor steht ein langer Tisch (Counter) und dahinter der Barkeeper (Kellner). Tritt der Amerikaner in die Wirthsstube, so läßt er sich, falls er kein Loafer [sc. Faulenzer] ist, selten nieder, sondern stellt sich vor den Counter, und fordert was er zu trinken wünscht sammt allen Zuthaten und Beimischungen (wie Zucker, Bitters etc. wozu im Winter noch heißes Wasser mit Eiern vermischt kommt, welche Mixturen dann nach ihren verschiedenen Bestandtheilen verschiedene Namen erhalten wie Hot punch, Egg Nack [sic], Tom and Jerry, Irish Cocktail etc. Das letztere ist ein Gemisch von Whisky, warmem Wasser und zu Brei zerquetschten gebratenen Aepfeln). In größter Geschwindigkeit wird ihm das |48| Verlangte gereicht, während der Gast das Geld abzählt; er leert darauf mit einem Schluck sein Glas aus und geht wieder zur Bar hinaus.Just as it is customary in Germany for women and maids to go to the market and shop, so it is for men to do the same in America. As soon as the man gets up, he takes the basket on his arm and goes to the market to buy meat, vegetables, butter, eggs and whatever the kitchen needs. On the way home, the ‘bitter’ is taken again in a friendly grocery. The room in coffee houses and inns where the drinks are placed is called a bar; it is a room with 2-3 shafts on one wall, on which the liquor bottles parade and are separated in twos by a citron for decoration. In front of them is a long table (counter) and behind it the barkeeper (waiter). When the American enters the bar, if he is not a loafer, he rarely sits down, but stands in front of the counter and asks for what he wants to drink, including all the ingredients and admixtures (such as sugar, bitters etc., to which hot water mixed with eggs is added in winter, which mixtures are then given different names according to their various components, such as hot punch, egg nog, Tom and Jerry, Irish cocktail etc. The latter is a mixture of whisky, warm water and roasted apples crushed to a pulp). He is served what he has asked for with great speed, while the guest counts out the money; he then empties his glass in one gulp and goes back out to the bar.
Außer wenn Breakfast-Dinner- oder Souper-time (Frühstück, Mittag- oder Nachtessenszeit) ist, kann ein Fremder in einem Wirthshause nichts zu essen bekommen, als allenfalls ein paar Crakers [sic], kleine runde Dinger von der Größe eines Thalers, eine Art Zwieback oder Matzen aus festem Teige; diese Crakers sind auf jedem Counter in großen weißen Zuckergläsern aufgestellt, und jedem Gaste steht es frei sich einige zu nehmen. In den bessern Kaffehäusern der großen Städte ist es eingeführt Mittags 11 Uhr in der Bar kalte Speisen: Wurst, Schinken, Zunge, Salat, Käse, Butter u. dgl. auszustellen, zur unentgeldlichen Benutzung der Anwesenden. Durch öftere Wiederholung des „Bittern“ oder eines sonstigen Schlucks (auch Dram genannt) sowie durch häufigen Besuch überhaupt sucht man den Wirth für das genommene Essen wieder schadlos zu halten. Der Name dieser Mahlzeit ist Lunch; und wer den besten Lunch aufstellt, hat sich zwischen 11 und 12 Uhr unfehlbar einer guten regelmäßigen Kundschaft zu erfreuen. Um 12 Uhr wird abgetragen und die Lunchzeit ist vorüber. Von Einigen aber wird diese Einrichtung benutzt, um sich, indem man mehrere Lunchs nacheinander besucht, ein gutes und wohlfeiles Mittagsessen zu verschaffen.Except when it is breakfast, dinner, or supper-time, a stranger can get nothing to eat in an inn except at most a few crackers, small round things the size of a thaler, a kind of rusk or matzo made of firm dough; these crackers are placed on every counter in large white sugar jars, and every guest is free to take some. In the better coffee houses in the big cities, cold dishes are served in the bar at 11 o’clock in the morning: sausage, ham, tongue, salad, cheese, butter and the like, for the free use of those present. By often repeating the ‘bitter’ or another sip (also called a dram) as well as by frequent visits in general, one tries to indemnify the landlord for the food taken. The name of this meal is lunch; and whoever serves the best lunch is bound to enjoy a good regular clientele between 11 and 12 o’clock. At 12 o’clock they clear away and lunch time is over. Some people, however, use this facility to get a good and tasty lunch by visiting several lunches in succession.

Stand: 22.12.2024